Sarah Kirsch schrieb Tagebuch. Sie entzieht sich Etikettierungen in ihrer Lyrik und in ihrer Prosa. Ihr Tagebuch „Märzveilchen“ gewährt Einblick in das ereignisreiche Jahr 2002. Kleine Miniaturen lyrisch, prosaisch, schnoddrig, spöttisch, machen auf unverwechselbare Weise ihr Leben sichtbar. Meist ihren Alltag in Tielenhemme, einem hundertfünfzig Seelenort in Dithmarschen. Ein Ort, dünn besiedelt, nahezu menschenleer. Hier lebt Sarah Kirsch mit Blick auf den ruhigen Fluss der Eider in einer alten Dorfschule. Mit feiner Beobachtungsgabe beschreibt sie die Natur. Nebel, der wie eine Gummizelle das Haus umschließt, Wind der sich von allen Seiten gegen das alte Schulgebäude wirft. Politische Ereignisse werden vermerkt: Bombardements in Tora Bora, Übergangsregierung in Afghanistan, Plastiksprengstoff im Strumpf eines Selbstmordattentäters, George W. Bush in Berlin, Amoklauf in Winnenden.

Erschütternde politische Ereignisse gehen Hand in Hand mit Beschreibungen des gewöhnlichen Alltags.

„Hab wieder mal im Schlafrock mit einem Affenzahn die Mülltonnen rausgerollt, hatte ich gestern vergessen.“ Sie schreibt, malt „Akwareller“, liest, kocht mit Maxe ihrem Sohn, geht zum Friseur, sieht Tatort. Es ist die Alltäglichkeit welche die kleinen Wunder des Lebens, insbesondere des Landlebens sichtbar macht. Nichts ist zu banal um Eingang in ihre Aufzeichnungen zu finden. Kein Aufregerthema, nichts Dramatisierendes. Das Leben ein ruhiger Fluss. Es ist das was für mich den Zauber des Buches ausmacht. Es bildet ein Gegengewicht zu einem Leben das von Hektik, Atemlosigkeit und Effizienz geprägt ist. „Ein neuer Schwarm Wacholder-und Rotdrosseln seit gestern in den Pappeln, mal am Fluss, mal am grünen Weg. Hellblaugrau marmorierter Himmel. Dies zu haben ist wunderbar. Abgeschottete Nerven.“

In ihren Tagebuchaufzeichnungen kommentiert sie mit Berliner Schnauze: „Tach deer Arbeet mit Schrödern in Leipzig.“

Sarah Kirsch bearbeitete ihre Tagebuchaufzeichnungen erst zehn Jahre später, bevor sie sie veröffentlichte.

Ein leises, sensibles Buch, das erinnert dass das Leben ist.

Zur Autorin: Sarah Kirsch geb. am 16. April 1935 in Limlingerode(Südharz), verbrachte ihre Kindheit in Halberstadt. Nach dem Abitur begann sie aus Liebe zur Natur eine Forstwirtschaftslehre, brach diese aber bald desillusioniert ab und studierte in Halle/Saale Biologie. Schon hier widmet sie sich bereits der Lyrik und war zusammen mit ihrem Mann Rainer Kirsch Mitglied im „Zirkel junger Autoren“, was einer Kandidatur für den Schriftstellerverband gleichkam. Im Zuge des „Bitterfelder Weges“, der sich dem Bemühen widmete, Arbeits- und Literaturwelt zu verknüpfen, arbeitete sie neben dem Studium am Literaturinstitut Johannes R.Becher in Leipzig in landwirtschaftlichen Großbetrieben und der Produktion. Sie unterschrieb 1976 einen Brief der sich gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wendete. Die Konsequenzen waren umfassend. Sarah Kirsch wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und aus der Partei ausgeschlossen. 1977 siedelte sie nach Genehmigung ihres Ausreiseantrages zunächst nach Westberlin über, lebte aber von 1983-bis zu ihrem Tod im beschaulichen Tielenhemme. Die Landschaft Schleswig-Holsteins, insbesondere des in Dithmarschen liegenden Tielenhemme machte sie zum Gegenstand ihrer Poesie. Sie schrieb Lyrik, journalistische Prosa und Kurzgeschichten. Darüber hinaus verfasste sie zusammen mit Ehemann Rainer Kirsch Hörspiele für Kinder.

Sie starb im Alter von 78 Jahren am 5. Mai 2013.

Ihr Tagebuch „Märzveilchen“ erschien 2012 bei Deutsche Verlags-Anstalt München (Random House Verlagsgruppe).

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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20 Antworten zu „Märzveilchen-von Sarah Kirsch”.

  1. Avatar von Arno von Rosen

    Eine schöne Rezi, mit Liebe verfasst, danke 🙂

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    1. Avatar von Xeniana

      Dankeschön. Es ist ein Buch das mich sehr berührt und ich freue mich , wenn ich das zum Ausdruck bringen konnte. Ich fürchte es läuft darauf hinaus mir sämtliche Bücher von Sarah einzuverleiben:). Irgendwie schon spannend das ich erst jetzt auf die Bücher gestossen bin.

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      1. Avatar von Arno von Rosen

        Ich finde es schön auf unentdeckte Talente zu stossen. Leider ist der Buchmarkt heute viel unerbittlicher bei der Aussortierung von alten Schätzen als noch vor 20 Jahren, aber dafür gibt es dann ja Menschen wie dich, die sich die Mühe des Suchens machen 🙂

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      2. Avatar von Xeniana

        Dankeschön! Aber ist sie wirklich ein unentdeckes Talent? Ich kenne einige die ihre Gedichte lieben. Dir einen schönen Abend! Liebe Grüße Xeniana

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  2. Avatar von saetzebirgit

    Ja, da spürt man die Bewunderung für die großartige Sarah Kirsch!

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    1. Avatar von Xeniana

      Dankeschön liebe Birgit!

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  3. Avatar von wildgans

    Großartig, gleichzeitig sanftschöne Besprechung, die dazu gereicht, dass ich mir das Buch sofort beschaffe! Ich danke dir herzlich! Ihre Gedichte mochte ich immer! Wie sie als Mensch so war, hm. Mir fällt ein, dass jemand mir irgendwann mal was Ungutes über sie erzählt hatte; ich glaube, es ging in die Richtung, dass sie bei einer Veranstaltung in der DDR als abgehoben oder so empfunden wurde…
    Ganz egal, man hört so viel, wenn der Tag lang ist, um es wie meine Omma zu sagen 🙂

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    1. Avatar von Xeniana

      Liebe Wildgans! Vielen Dank für diesen schönen Kommentar. Du hast mir den Tag damit gerettet der soeben am entgleiten war….Schön das du dir das Buch beschaffen willst, könnte mir unbekannterweise vorstellen, dass es sehr gut passt und würde mir das natürlich wünschen. Dir einen schönen Abend liebe Wildgans. Liebe Grüße Xeniana

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  4. Avatar von Maren Wulf

    Sarah Kirsch und Dithmarschen – eine aparte Kombination. Deine feine Rezension macht mir große Lust, jetzt doch endlich einmal das Tagebuch dieser wunderbaren Dichterin zu lesen.

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    1. Avatar von Xeniana

      Oh wie schön!!!!

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  5. Avatar von kitoremi
    kitoremi

    schöne rezi, die lust auf selbst lesen macht 🙂 das cover des buches finde ich sehr ansprechend.

    liebe grüße, kim

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    1. Avatar von Xeniana

      Die Bücher sind sehr schön gestaltet und das Buch lohnt sich wirklich!

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  6. Avatar von Read on
    Read on

    Ein wunderschönes Buch und eine sehr poetische Besprechung! Vielen Dank!

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    1. Avatar von Xeniana

      Danke. Ich freue mich über diesen Kommentar sehr. Du hast das Buch gelesen? LG Xeniana

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      1. Avatar von Read on
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        Wie alles von ihr sofort verschlungen! eine große Liebe!

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      2. Avatar von Xeniana

        Bin auch gerade am Verschlingen, allerdings wollen die Gedichte mit Muße verinnerlicht werden:) Schöner Gravatar! Erinnert mich an das Rittergedicht.Kennst du das?

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      3. Avatar von Read on
        Read on

        Das stimmt, Lesehunger und geduldiges Innehalten vertragen sich in meinem Fall leider schlecht….Der Ritter ist aus meiner französischen Heimat bei Aix-en-Provence und ich mag ihn sehr, nicht nur weil ich ihm doch ähnlich bin… Das Gedicht aber kenne ich, glaube ich leider nicht…

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  7. Avatar von Xeniana

    Wenn ich es finde schick ich´s dir!

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  8. Avatar von Sonntagsleserin April 2015 | buchpost

    […] dem Blog Familienbande macht mich Xeniana neugierig auf Märzveilchen von Sarah […]

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    1. Avatar von Xeniana

      Danke fürs verlinken! Gerade weil es die Märzveilchen betrifft , freut es mich wirklich sehr! LG Xeniana

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