Die Cellistin Isabell und Georg von Beruf Journalist, sind seit kurzem eine Familie. Sie leben in einer Altbauwohnung im Stadtzentrum kaufen ihre Frühstücksbrötchen aus einer Manufaktur und ihre Lebensmittel im Biomarkt. Sie tragen ökologisch hergestellte Kleidung und fliegen in den Urlaub. Dann wendet sich das Blatt.
Isabell hat sich ihren Platz im Musikerhimmel hart erarbeitet. War fleißig, stets gut vorbereitet, vorsichtig, immer darauf bedacht keinen Fehler zu begehen.
Vielleicht ist es die Verantwortung für die kleine Familie, die ihr plötzlich die Leichtigkeit beim Cellospiel nimmt. Zurück im Orchestergraben, nach einer kurzen Babypause, passiert das was nicht passieren darf: die Bogenhand versagt beim Solo. Die Hand zittert.
Mit der Geburt von Matti, ihrem Sohn, ist etwas Unkontrollierbares in ihr Leben getreten. Isabell erkennt sich als Mutter nicht wieder. Zu den kurzen Nächten, einem Alltag der noch nicht Gewohnheit ist, kommt Baustellenlärm hinzu. Die Sanierungsarbeiten am Haus legen zusätzlich die Nerven blank. Sie fühlt sich fremd im eigenen Leben, überfordert.
Isabells Versuch, das Problem durch Ignorieren zum Verschwinden zu bringen, misslingt. Gelassenheit lässt sich nicht erzwingen. Das Problem bleibt: die Bogenhand zittert. Zunehmend empfindet sie den Orchestergraben als Käfig, in dem sie vom Publikum von oben herab angestarrt, begutachtet wird. Reibereien im Orchester. Die erste Geige spöttelt, der Himmel wird zum Graben. Isabell hält dem Stress nicht stand, Sehnsucht nach Langsamkeit und Ruhe. Sie lässt sich krankschreiben. Mit Georg redet sie nicht: „Meine Bogenhand zittert“, ein Satz der für sie unaussprechbar ist.
Als auch ihr Mann Georg seinen Job im Verlag verliert, wird die Verunsicherung zur existienziellen Angst. Auch Georg fühlt sich „beschädigt“, „disqualifiziert“, nicht mehr vollwertig. Trotz alledem ist er lösungsorientiert, kann den „Abstieg“ denken, sich in seinen Erwartungen neu ausrichten, den Gürtel enger schnallen. Isabell will, das alles bleibt wie es war. Sie haben alles richtig gemacht, waren effizient, haben Fehler vermieden. Das Leben fühlt sich ungerecht an.
Sie will keine Preise vergleichen, will sich nicht fragen ob sie sich die Lauflernschuhe für Matti überhaupt leisten kann. Sie will keinen Strom sparen, aufs Land ziehen, auf Urlaub verzichten. Sie fühlt sich bevormundet von Georg, ist genervt von der billigeren Marmelade die er kauft: „Da können wir gleich Zucker aufs Brot schmieren.“
So will sie nicht leben. Die Liebe erstickt im Gefühl es nicht geschafft zu haben.
Warum gelingt anderen scheinbar mühelos ein Leben, an dem sie jetzt scheitern?
Dass sie ihren Beruf vermutlich auch ohne zitternde Bogenhand verloren hätte, tröstet sie nicht.
Die Streicher wurden digitalisiert.
Es hat mich sehr bewegt dieses Buch. Es stellt sich der Frage: Wie lebt man ein Leben im Unsicheren. Was braucht es, um seine Würde auch unter prekären Bedingungen zu bewahren. Welche Werte zählen? Auf was kommt es wirklich an?
Kristine Bilkaus Roman ist ein Roman den man viele Lesern wünscht. Eine differenzierte Beobachtung einer Lebenskrise , die trotz sprödem Ton eher Melancholie als Depressivität vermittelt, nicht ohne Hoffnungsschimmer zuzulassen.
Kristine Bilkau ist Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Für ihren Debütroman „die Glücklichen“ erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Literatur.
Das Buch ist im Frühjahr 2015 im Luchterhand Literaturverlag München (Verlagsgruppe RandomHouse) erschienen.
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